TRAUMSTADT SCHWABING
IN DER TRAUMSTADT
In der Traumstadt ist ein Lächen stehn geblieben;
niemand weiß, wem es gehhört.
Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschieben,
weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört.
Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten;
immer müder lächelnd steht es da,
kaum beachtet, und gescholten
und geschubst und weggedrägt, wenn ja.
Langsam schleicht es sich von hinnen;
doch auf einmal wird es licht verklärt
und dann geht es ganz nach innen---
und du weißt, wenn es gegolten und gehört.
Peter Paul Althaus
Was war Traumstadt?
Maler, Bildhauer, Musiker, Schriftsteller, Schauspieler,
Handwerker, Beamte, Kaufleute, Dichter und mehr.....
PPA - mythos UND gewissen Schwabings
Peter Paul Althaus
Quelle: Münchner Stadtanzeiger 73 vom 12. September 1975, S. 5
Mit dem Tod war er jahrelang auf vertrautem Fuß gestanden. Er hatte sich von den Münchner Stadtvätern auf dem Nordfriedhof ein »kommodes« Ehrengrab schenken lassen und die Inschrift für seinen Grabstein entworfen, aber der Tod vergönnte dem ergreifend schwach und gebrechlich gewordenen Poeten immer wieder eine Gnadenfrist. In der Nacht zum 16. September 1965 war es dann doch soweit - Peter Paul Althaus zog sich für immer von Schwabing zurück, für das er so etwas wie Mythos und Gewissen geworden war.
Gern hat man ihn einen letzten Schwabinger genannt. Aber PPA/ der mehr als vierzig Jahre unter den Dächern hinter dem Siegestor gelebt hat, war mit Schwabing immer weniger zufrieden gewesen. Zornig wandelte er den bekannten Ausspruch der Gräfin Reventlow ab: »Schwabing ist kein Zustand, Schwabing - das sind Zustände.« Und er, der westfälische Spökenkieker, der am 28. Juli 1892 in Münster zur Welt und 1922 nach München gekommen war, erdichtete sich eine Gegenwelt: die Traumstadt. Gestorben ist er zwar in seinem Schwabinger Heim, 117 Treppenstufen über dem allzeit belebten Boulevard, den er viele Jahre nicht mehr betreten hatte und auch nicht mehr hatte betreten können, gelebt aber hat er immer intensiver in einer imaginären und unrealen Welt, eben in seiner »Traumstadt«, der er nicht nur ein Gedichtbuch widmete, sondern in der er auch das höchste Amt versah: das des »Bürgermeisters« und als solcher verlieh er Ehrenzeichen wie die Silberne Seerose und Urkunden - Produkte einer skurrilen Phantasie. Und jeder, den er damit bedachte, machte das geistreiche Spiel mit und war sogar stolz darauf, ein Würdenträger von PPA-Gnaden zu sein.Selbst Münchens damaliger Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der viel Sinn für dieses alte Schwabing hatte, redete den Boß der Traumstadt mit »Kollege« an und rühmte ihm nach, er, der einfallsreiche Dachstubenpoet, habe mit seiner Traumstadt München einen neuen Stadtteil »eingemeindet«.
In der Tat, je älter er geworden war - und er hat es trotz allem auf gut 73 Jahre gebracht - um so verspielter war er geworden. Er spielte mit seinen Katzen, die bis zuletzt um ihn waren, mit Flöten, mit dem Tonband, das ihm immer wieder »Botschaften« an seine Freunde ermöglichte, vor allem aber spielte er mit Worten - in seinen Versen wie in den bereits erwähnten Traumstadt-Urkunden. »Sonderbarerweise kommt in dies Spielen immer wieder ,von selbst, ein tieferer Sinn«, meinte er einmal. »Ich bin dann stets erstaunt. Staunen können muß wohl eine Voraussetzung für künstlerisches Schaffen sein.«Indessen, man würde ihm nicht gerechte sähe man ihn nur unter dem Aspekt seiner letzten Jahre, unter dem der Matratzengruft, die ihn beinahe ebenso lange festgehalten hat wie einst Heinrich Heine. Vordem nämlich hatte er ein gar nicht so unbewegtes Leben geführt. »Ich war«, so ist in einer autobiographischen Skizze über die Stationen seines Lebens zu lesen, »nacheinander (zuweilen miteinander): Säugling, Kind, Schüler, Gymnasiast, Apothekerlehrling, Soldat, stud. phil., Pressereferent, Schmierenschauspieler, Herausgeber zweier Zeitschriften, Theaterdramaturg, Übersetzer freier Schriftsteller, Kabarettist Rundfunkautor, Ehemann, Rundfunkdramaturg, Soldat/ Lektor, freier Schriftsteller.« Daß er im Ersten Weltkrieg Leutnant und im Zweiten sogar Hauptmann war, will für viele ebensowenig in das Bild von PPA passen, wie, daß er als Anreger stets viel Aktivität und als Autor viel Fleiß entfaltet hat.
Zu seinen Hobbys gehörte seit eh und je das Kabarett, er rief 1930, nachdem er vorher bei Kathi Kobus im alten »Simplicissimus« aufgetreten war, den »Zwiebelfisch« ins Leben, 1947 die »Schwabinger Laterne« und ein Jahr darauf das »Monopteroß«, das es zu etlichem Ansehen brachte. Er übersetzte mystische Lyrik aus dem indischen Mittelalter, Voltaires »Geschichte Karls des XIL«, altrussische Kirchenlieder und Texte aus dem Englischen. Molieres »Tartuffe« übertrug er erstmals im Originalversmaß. Er verfaßte Bühnenstücke, von denen eines in Köln uraufgeführt wurde, er gab »Das Lalebuch« neu heraus, desgleichen einige Anthologien, er schrieb zahllose Rundfunksendungen, bei denen er meistens selber vor dem Mikrophon gestanden hat, und schließlich, in den letzten anderthalb Jahrzehnten seines Lebens, nicht weniger als sechs Gedichtbücher, von denen das letzte posthum erschien. Es sind dies die poetische »Traumstadt« von 1951, die vergnüglichen Verse um »Dr. Enzian«, dessen Name ebenso wie der seiner Kollegen Dr. Korn und Dr. Kümmel nicht von ungefähr alkoholische Assoziationen weckt; die anmutigen »Flower Tales«, in denen er Blumen über ihre wie auch über menschliche Schicksale monologisieren ließ; die »Seelenwandertouren«, »Wir sanften Irren«, zu denen er sich unbekümmert selber zählte, und schließlich aus dem Nachlaß »PPA läßt nochmals grüßen«.
So erfreulich und berechtigt es ist, daß Schwabing seinen Peter Paul Althaus nicht in Vergessenheit geraten ließ - an dem Hause in der Trautenwolfstraße, in dem er viele Jahre gelebt hat, erinnert eine Gedächtnistafel an ihn, eine Nebenstraße der Osterwaldstraße erhielt seinen Namen und in der Galerie Oswald Maluras hält die von PPA initiierte »Traumstadt« unter Rolf Flügel immer noch zweimal im Jahre ihre musischen Bürgerversammlungen ab - noch notwendiger und sinnvoller ist es, daß sein dichterisches Werk, daß die genannten sechs Bändchen zugänglich bleiben und weitere Verbreitung finden. Das war in den letzten Jahren nur noch begrenzt der Fall. Jetzt aber hat der Süddeutsche Verlag PPA's Versbändchen zur zehnten Wiederkehr seines Todestages neu herausgebracht -erstmals alle sechs in einem nobel ausgestatteten Sammelband, der 19,80 Mark kostet, also preiswerter ist, als es die Einzelbändchen je gewesen sind.
Der Band, dem Rolf Flügel ein ebenso locker gefügtes wie substantielles, also angemessenes Vorwort mitgab, überrascht auf jeder Seite mit meist heiteren Wunderblüten der Althausschen Phantasie. »Was nur Leidende und Sterbende erahnen im geheimen, plauderten hier Götter lächelnd aus in leichten Reimen«, heißt es in einem Traumstadtgedicht über geträumte Poesie. Dieses ständige Hinübergleiten zwischen hell und dunkel, heiter und ernst, wirklich und unwirklich, schwer und schwebend gibt den Versen ihren unverwechselbaren Reiz, rückt viele von ihnen in die Nähe bester surrealistischer Graphik, läßt sie also zeitnaher, moderner erscheinen als etwa die Verse Morgensterns - von dem er freilich gelernt hat, ohne ihn nachzuahmen; auch nicht in den Gedichten um »Dr. Enzian«, der Lachtauben mit Weintrauben füttert, der in seinem Zimmer unter Gewimmer »Lügen straft«, der aus Elefanten wieder Mücken macht, der Händedrücke von berühmten Männern sammelt, der manchmal »ein wenig Zeit« in eine Kassette tut (»Anatol, sein Diener, der die Zeit verschwendet, hat schon öfter aus dem Kästchen was entwendet«) und Dutzende solcher Wortklaubereien ä la Valentin anpeilt, die zu skurrilen Miniaturszenen oder Genrebildchen voll tieferer Bedeutung ausgestaltet werden. Viele der »Dr. Enzian«-Gedichte, der »Flower Tales« und der ebenfalls in Monologform gehaltenen Irren-Gedichte sind auf die Pointe hin geschrieben, also durchaus zum Vertrag, etwa auf dem Brettl, geeignet, aber sie geben mehr als nur Pointen, diese geistvollen Eulenspiegeleien geben dazu Vorgänge, Meditationen, Atmosphäre, und sie verwirklichen hohe, nicht selten virtuos gemeisterte Reim- und Sprachkunst von Mozartscher Heiterkeit.
Eines seiner schönsten Gedichte beginnt mit den Zeilen: »In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben; niemand weiß, wem es gehört.« Doch wem es zu verdanken ist, wissen wir. Es wird auch in Schwabing lange noch steh'n bleiben.
Karl Ude
Peter Paul Althaus
(* 28. Juli 1892 in Münster; † 16. September 1965 in München) war ein deutscher Kabarettist, Hörspieldramaturg und Dichter. Er lebte in München-Schwabing.
Peter Paul Althaus war der ältere von zwei Söhnen des Großhändlers für Eisen-, Leder- und Polsterwaren in Münster/Westfalen, Franz Althaus. Er galt schon in der Schule als intelligent, jedoch aufsässig, und erreichte die Primatreife 1913 erst nach mehreren erzwungenen Schulwechseln im Georgianum in Lingen an der Ems. Danach begann er eine Apothekerlehre in Ahlen/Westfalen, die er noch im gleichen Jahr abbrach, um sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Er wurde mehrfach verletzt und erreichte den Rang eines Leutnants. Nach der Rückkehr richtete er in Münster gemeinsam mit seinem Bruder eine Heeresgut-Sammelstelle ein, die zu einer ersten Anlaufstelle für die aus dem Krieg zurückkehrenden Künstler und Studenten wurde. Dieser Freundeskreis gründete 1919 den Literaturverlag Der weiße Rabe. 1919 - 1922 studierte Althaus Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte an der Universität Münster, gab nebenher kleine satirische Schriften heraus und verfasste Gedichte - zunächst ohne großen Erfolg.
1922 übersiedelte er in die "Kulturhauptstadt" München und erlangte dort Anschluss an Schwabinger Künstlerzirkel, denen z.B. Joachim Ringelnatz, Stefan George und Rainer Maria Rilke angehörten. Er war u.a. mit Klaus Mann befreundet und wurde in den legendären Tukan-Kreis aufgenommen. PPA, wie er sich nun oft nannte, war vielseitig und produktiv. Im Jahr 1923 erschienen seine ersten Gedichte im Göttinger Musenalmanach; noch im gleichen Jahr eine Übersetzung des Tartuffe im Originalversmaß und eine Übersetzung alter indischer Lyrik aus dem Englischen; im nächsten Jahr der Gedichtband Jack, der Aufschlitzer und eine Voltaire-Übersetzung. Sein Freund Ludwig Kusche hat viele seiner Gedichte vertont. 1925-26 war PPA vorübergehend Regieassistent am Nationaltheater in Weimar, und um 1928 begann er, für den Bayerischen Rundfunk Hörspiele zu schreiben, die damals leider nicht aufgezeichnet wurden. Bekannt ist Liebe, Musik und der Tod des J.S. Bach (gesendet 1933). Anfang der 1930er Jahre bereiste PPA Europa, vor allem Florenz, Mallorca und England. In England arbeitete er als Regisseur.
Wieder in München, gründete Althaus mit Wolfgang von Weber 1934 das literarische Kabarett Der Zwiebelfisch. Er ging eine kurzlebige Ehe ein (1939 - 41,Inge Althaus). 1939 - 1941 war er Oberspielleiter beim Berliner Deutschlandsender, wurde jedoch auf persönliches Betreiben von Goebbels entlassen, weil er den Gedichtband Das Vierte Reich (erschienen 1928, ohne politischen Inhalt) dem verfemten Albert Einstein gewidmet hatte.
1941 bis 1945 war er Hauptmann einer Transportkompanie im Zweiten Weltkrieg. Danach arbeitete er wieder für den Bayerischen Rundfunk und als freier Kabarettist (Schwabinger Laterne 1947, Monopteross 1948). 1948 gründete er den Künstlerkreis Seerose, der noch heute besteht. 1951 erschien sein bekanntestes Werk In der Traumstadt (auch Traumstadtgedichte). Ab 1952 widmete sich PPA ausschließlich dem Schreiben.
In Schwabing war Peter Paul Althaus als Dichter und "Bürgermeister der Traumstadt" eine anerkannte Berühmtheit. Er pflegte Umgang mit seinem "Kollegen", dem Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. 1961 erhielt er den ersten Schwabinger Literaturpreis (Schwabinger Kunstpreis, verliehen in der Galerie Malura) , 1962 aus Anlass seines 70. Geburtstags die Goldmedaille des Bayerischen Rundfunks (Laudatio durch Theodor Heuss). Erst in den letzten Lebensjahren lebte er zurückgezogener (mit seiner Gefährtin, der Psychoanalytikerin Hilde Supan). 1965 rief Althaus im Atelier des Malers Oswald Malura die erste Traumstadt-Bürgerversammlung zusammen. Er starb am 16. September 1965 in seiner Wohnung, aber von 1965 – 1977 fanden in der Wohnung von Oswald Malura in der Kaulbachstr. 75 zwei Mal jährlich weiterhin Traumstadt-Treffen statt. Althaus ruht in einem Ehrengrab der Stadt München auf dem Nordfriedhof. In München und Münster sind Straßen nach ihm benannt. Rechteinhaber und Herausgeber der Werke (und der gegenwärtige "Bürgermeister der Traumstadt") ist der Großneffe des Dichters, Dr. Hans Althaus, Köln.